Auf den Spuren der Steinböcke
Ein paar gröbere Schrofen wurden dem Steinbockzentrum in St. Leonhard im Pitztal vor der Eröffnung doch noch vor die Füße geworfen. Letztendlich war es aber am 18. Juli 2020 soweit und das Zentrum konnte am Schrofen nach 1,5 Jahren Bauzeit feierlich eröffnet werden.
Bereits die Anreise zum Zentrum ist beeindruckend. Fährt man taleinwärts, sieht man das Gebäude schon von Eggenstall, wie es aus dem satten Grün herausblitzt und sich wie ein roter Schrofen perfekt in das Gelände einfügt. Bei einem Budget von 3,7 Millionen Euro wurde auch die Bevölkerung des Tales miteinbezogen und darauf geachtet, dass es sich zum einen um eine Attraktion für die Einheimischen entwickelt und zum anderen, dass dem Steinwild wieder der Raum gegeben wird, den er so lange verloren hat.
Vom Parkplatz des Gemeindeamts St. Leonhard geht es entweder direkt oder über die Rundwanderung Pfitschebach – Steinbockzentrum hoch zum Haus am Schrofen. Schon während des Weges begegnet man Besonderheiten über das Steinwild und über Murmeltiere.
Beim Zentrum angekommen, erhält man im Erdgeschoss bereits erste Informationen zur Ausstellung und kann sich im Shop schon einmal ein regionales Souvenir aussuchen. Folgt man den Stufen oder dem Lift, das gesamte Steinbockzentrum ist übrigens barrierefrei zugänglich, ins Obergeschoss, erwartet einen eine interessante Ausstellung über die Anfänge der Fotografie im Pitztal.
Bereits im frühen 20. Jahrhundert wussten Einheimische die Schönheit des Tales in Fotografien festzuhalten. Die ersten Entdecker der „Landschaft Pitztal“ waren AlpinistInnen und BerufsfotografInnen von auswärts. Bald begannen aber auch Pitztaler FotografInnen, ihr Tal als Landschaft zu entdecken und zu fotografieren. Nennenswert ist die Familie Lentsch. Nahezu alle der 14 Geschwister und später auch deren Kinder verschrieben sich der Fotografie, allen voran die Mädchen der Familie. Anna Katharina, 1827 geboren, sowie ihre vier Jahre jüngere Schwester Barbara entwickelten schon früh großes Interesse an der Fotografie und sie zogen 1847 nach Wien, um bei einem Lichtbildner Daguerreotypie, das erste kommerziell nutzbare Fotografie-Verfahren, zu erlernen. In den folgenden Jahren bereiste sie als Wanderdaguerreotypistin die Welt und fotografierte neben großen Städten in Mitteleuropa auch in der Türkei und sogar in Russland.
Menschenbilder statt Heimatbilder nahm sich Anton Heubacher (1872-1955) als Fotografie-Leitbild. Heubacher, seinerzeit enger Freund von Otto Neururer, übte 20 Jahre lang das Priesteramt zuerst in Wenns und anschließend in Piller aus. Schnell verlieh ihm sein fotografisches Gespür großes Ansehen in den Gemeinden, vor allem, als Heubacher begann, die Menschen seiner Pfarre vor die Kamera zu stellen. Ohne Rücksicht auf das Milieu fotografierte er quer durch alle Schichten jedes Gemeindemitglied.
Absoluter Eyecatcher ist eines der Fenster im ersten Obergeschoss. Dieses gibt den uneingeschränkten, nahezu fotografischen Blick auf den Schrofenhof frei, Pitztals ältester Bauernhof. Dieser wurde 1265 erstmals urkundlich erwähnt und ist der Geburtsort von Josef Schöpf, den die Familie 1895 übernommen hat. Derzeit wird der Hof wissenschaftlich erforscht, soll aber schon 2021 für die Allgemeinheit zugänglich sein.
Das zweite Stockwerk ist ganz dem Steinwild gewidmet und gibt ihm dem Raum, den es sich Verdient hat. Nachdem das Steinwild bereits im 15. Jahrhundert aus seinem ursprünglichen Lebensraum durch Jagd, Eitelkeit und Armut langsam verdrängt wurde, wusste man nur hundert Jahre später kaum noch etwas über die majestätischen Tiere.
Neben der starken Bejagung des Steinwilds zählten auch Aberglaube und Volksheilkunde zu den Faktoren, die das Steinwild bedrohten. Vielen Körperteilen sowie Innereien des Steinbockes wurden besondere Heilkräfte nachgesagt. So galt zum Beispiel eine Verknöcherung der Sehne im Inneren des Herzmuskels als Glücksbringer, der einen nahezu unverwundbar machen sollte. Diese Verknöcherung trug man meist als Amulett über dem Herzen. Auch den Bezoaren, die im Magen von Wiederkäuern gefunden werden können, wurden über 40 magische und heilende Kräfte zugeschrieben. Sie sollten unter anderem vor Vergiftungen schützen und Einfluss auf das Wetter haben. Um die Eigenschaften des Steinbocks – Kraft, Mut und Schwindelfreiheit – zu erhalten, trank man das noch warme Blut eines frisch erlegten Bocks, den pulverisierten Hörnern hingegen wurde eine aphrodisierende Wirkung zugesprochen.
Viktor Emanuel II., König von Sardinien-Piemont, stellte die Restpopulation von rund 60 Tieren, die im italienischen Savoyen überlebte, unter den Schutz der Krone, der illegale Handel der Steinböcke florierte aber besonders in die Schweiz. So kam der Steinbock wieder über Umwege zurück in den alpinen Raum, auch ins Pitztal.
1952 versuchte man in St. Leonhard, den Steinbock wieder anzusiedeln. Dieser Versuch scheiterte aber mangels Knowhows über die Bedürfnisse der Steinböcke. Die Tiere rissen aus dem für sie zugewiesene Gebiet aus und suchten sich selbst das passende Gelände. Sie bevorzugen die Bergwildnis mit Felsen und Grashalden, wo sie im Einklang zur Umgebung und anderen Tierarten leben. Das Bedürfnis nach Schutz und Nahrung sowie sozialen Kontakten und Bewegungsfreiheit war in dem von ihnen gewählten Gebiet gegeben und so vermehrten sich die Steinböcke ohne das Eingreifen des Menschen.
Um 1980 war die Population im Pitztal bereits stark angewachsen, was den Export in andere Tiroler Gebirgstäler und nach Osttirol ermöglichte. Heute bevölkern 1200 Steinböcke die Hochgebirgsregionen im Pitztal.
Hier endet die Tour durch das Zentrum und über die gewaltige Brücke marschiert man nun in Richtung Steinbockgehege. Hier hat ein Rudel von sieben Tieren Quartier bezogen, das von einem 4-jährigen Bock angeführt wird. Sie sind sehr neugierig und an Menschen gewöhnt, weswegen man ihnen bei einer Führung durch das 2.500 m² große Gehege durchaus sehr nah kommt. Der Weg bis zur Fütterungsstelle ist natürlich barrierefrei zugänglich.
Das ist natürlich nur ein Bruchteil der vielen spannenden Informationen, die euch im Steinbockzentrum erwarten. Ihr lernt noch sehr viel über weitere PionierInnen der Fotografie und könnt euch mittels Audio-Guide und Videos umfangreich über das Steinwild informieren.
Dass man nach so viel Input auch eine kleine Stärkung verdient, wurde bei der Realisierung beachtet und so findet man im Untergeschoss des Zentrums das Café-Restaurant Ansitz am Schrofen. Der Pächter Lukas Füruter begrüßt seine Gäste mit einem breitem Lächeln im Gesicht. Er ist Mitglied des Vereins Pitztal Regional und legt großen Wert auf die Verarbeitung regionaler Produkte. Die Speisekarte stimmt thematisch passend zum Steinbockzentrum ab und auch die Weinkarte kann sich sehen lassen. So lässt man einen spannenden Tag gemütlich in der duftenden Zirbenstube oder auf der Terrasse mit beeindruckendem Talblick ausklingen.
Öffnungszeiten (ab 18.07.2020)
Mai – Oktober: Mo – So von 10.00 – 17.00 Uhr
November – April: Do – So von 10.00 – 17.00 Uhr
Preise (ohne Pitztal Sommer Card):
- Erwachsene 8 €
- Kinder (6–14 Jahre, mit Ausweis) 5 €
- Kinder (bis 5 Jahre, mit Ausweis) gratis
- Familienkarte (2 Erwachsene mit Kinder) 24 €
- Ermäßigte Eintritte mit Ausweis (Senioren, Schüler und Lehrlinge, Behindertenpass) 7 €
- Jahreskarte (Erwachsene oder Kinder) 25 €
Führungen durch die Ausstellung / Steinbockgehege nur auf Anmeldung.
Wichtig: Bitte beachten Sie, dass für Hunde auf dem gesamten Areal Leinenpflicht besteht. Im Steinbockgehege ist die Mitnahme von Hunden nicht erlaubt.